Digitalisierung mit Mobile Payment und E-Commerce wird im Jahr 2019, und damit längst überfällig, in den Fokus rücken. Entwicklung und permanente Analyse gehören für uns als Tech-Unternehmen zu den täglichen Pflichtaufgaben und dazu zählt es auch, dass wir die Entwicklungen in Ländern wie China oder den USA – den Vorreitern der Digitalisierung – immer wieder betrachten und verfolgen. Denn die Zukunft entsteht schon seit Jahren in China, wie Sascha Lobo es in einem „Spiegel Online“-Artikel kürzlich auf den Punkt brachte.
Zum Jahresstart haben wir mit Dimitri Belov – Düsseldorf Tourismus – ein sehr interessantes und aufschlussreiches Interview geführt. Er gibt detaillierte Einblicke in diese „Welt der Zukunft“ und beschreibt die unglaubliche Macht der Plattform WeChat. Zudem zeigt er auf, welche Voraussetzungen deutsche Unternehmen und auch Hotels erfüllen müssen, wenn sie von dem großen Kuchen des chinesischen Reisemarktes profitieren wollen.
„Guten Tag Herr Belov. Vielen Dank vorab, dass Sie uns für dieses Interview zur Verfügung stehen. Betrachten wir die Digitalisierung in China und Deutschland: Wo liegen die Unterschiede? Wo driften sie besonders augenfällig auseinander?“
Zwei wesentliche Merkmale unterscheiden die Digitalisierung in China von der in Deutschland.
1. Unternehmen: Der globale Wettbewerb ist durch das Verbot von „westlichen“ Anbietern wie Facebook, Google und Co. stark eingeschränkt. Als Nutzer haben Sie in China einen legalen Zugang nur zu chinesischen Angeboten. Dadurch haben sich im Laufe der Zeit einige chinesische Anbieter von digitalen Dienstleistungen herauskristallisiert, die den chinesischen (und ostasiatischen) Markt beherrschen und momentan auch versuchen, in Europa zu expandieren. Die größten Player sind der Konzern Alibaba mit seiner erfolgreichen B2B- und B2C-Handelsplattform sowie der Bezahldienst Alipay, das Unternehmen Tencent mit der „Super-App“ WeChat und der Mikroblogging-Dienst Weibo (vergleichbar mit Twitter). Als einen aufstrebenden Newcomer möchte ich das Videoportal TikTok nennen, das einige vielleicht aus der hiesigen TV-Werbung bereits kennen. Manche Dienste verfügen über eine Quasi-Monopolstellung, was das Beispiel der App WeChat beweist. Diese Anwendung verbindet in einer App so gut wie alle uns bekannten Services (WhatsApp, Facebook, eBay, booking.com, Zalando und viele mehr) und fungiert praktisch als Internet im Internet.
2. Payment: Die meisten Chinesen nutzen mittlerweile fast flächendeckend Online-Bezahldienste und kommen im Alltag ohne Bargeld aus.
Wie sehr nutzen die Chinesen die digitalen Möglichkeiten insgesamt? Was ist dort Alltag?
Ca. 900 Mio. Chinesen, mehr als 60 % der Bevölkerung, nutzen mittlerweile das Internet. Fast alle Nutzer frequentieren dabei das mobile Internet (knapp 98 %) und 80 % davon profitieren von Online-Bezahldiensten und E-Commerce-Angeboten. Während meiner Aufenthalte in China nehme ich ständig wahr, dass vor allem das Zahlen mit dem Smartphone omnipräsent ist, sei es das Bezahlen einer Taxifahrt, der Kauf bei einem Imbiss an der Straßenecke oder das Bezahlen einer Rechnung im Restaurant, ganz zu schweigen vom Erwerb von Kleidung und Lebensmitteln in den Shops. Dazu befragt, wann er das letzte Mal Bargeld bei sich hatte, als er aus dem Haus ging, meinte ein schon seit Jahren in China lebender amerikanischer Geschäftspartner von mir, er könne sich nicht mehr genau daran erinnern. Und das Spannende ist: Das bargeldlose Bezahlen funktioniert ganz einfach über einen üblichen QR-Code. Eine Technologie, die sich in Deutschland noch nicht richtig durchsetzen konnte.
Wie ist das Reiseverhalten der Chinesen in Zahlen und Fakten?
Mit einer Zahl von 1,3 Mrd. Einwohnern stellt China ein riesiges Potenzial für Auslandsreisen dar. Bis dato verfügt aber nur ein kleiner Teil der chinesischen Bevölkerung über einen Reisepass. Wir sprechen in diesem Zusammenhang von ca. 80 bis 100 Mio. Menschen (ca. 8 bis 10 % der Gesamtbevölkerung). Das heißt, die chinesischen Touristen, die wir überall auf der Welt sehen, sind nur eine kleine „Vorhut“. Mit dem Erstarken einer neuen Mittelschicht und der rapide fortschreitenden Urbanisierung Chinas wächst die Zahl der Menschen stetig, die eine entsprechende Kaufkraft besitzt: Die Anzahl der potenziellen Auslandsreisenden nimmt pro Jahr um durchschnittlich ca. 13 % zu – Tendenz steigend. Studien prognostizieren, dass Chinesen bis 2021 bis zu 429 Mrd. US-Dollar für Auslandsreisen ausgeben werden. Dabei ist Europa im internationalen Vergleich die beliebteste Destination der Chinesen für Reisen außerhalb Asiens. Deutschland belegt im chinesischen Europa-Ranking nach Frankreich und Italien den dritten Platz. Zwischen 2008 und 2017 hat sich das Übernachtungsvolumen der Chinesen in Deutschland verdreifacht (von 940.000 Übernachtungen auf 2,86 Mio. Übernachtungen). Die Deutsche Zentrale für Tourismus (DZT) prognostiziert bis 2030 ein Übernachtungsvolumen von 5,0 Mio. chinesischen Gästen.
Was erwarten chinesische Gäste in Sachen Hotel-Digitalisierung, wenn sie Deutschland/Europa besuchen? Welche Digitalisierungs-Tipps geben Sie Hotels, die diese Zielgruppe gewinnen möchte?
Bevor Chinesen verreisen, informieren sie sich im Internet über ihr Reiseziel und die Hoteloptionen. Zunächst befragen sie häufig andere User in speziellen Chatgruppen auf WeChat zu ihren Erfahrungen mit dem Reiseziel und dem jeweiligen Hotel und dann informieren sie sich im Internet über das Haus. Deshalb ist ein chinesischer Webauftritt immens wichtig. Denn man darf die Sprachbarriere nicht unterschätzen. Obwohl sehr viele vor allem junge Chinesen des Englischen mächtig sind, handelt es sich beim Chinesischen um ein ganz anderes Sprachsystem, was die Verständigung sehr erschwert. Darüber hinaus ist eine chinesischsprachige Website ein positives Zeichen, das suggeriert, dass man sich um die chinesischen Gäste bemüht. In einem Land, in dem der gegenseitige Respekt fest in der konfuzianischen Mentalität und Kultur verankert ist, wird dies mit Genugtuung gesehen.
Des Weiteren ist ein WeChat-Account die ideale Ergänzung der digitalen Strategie und kann sogar als eine kostengünstige Alternative zum chinesischsprachigen Webauftritt fungieren. Chinesische Unternehmen zum Beispiel richten oft nicht zuerst eine Website ein, sondern legen vorher ein Profil auf WeChat an.
Und zu guter Letzt empfehle ich die Einrichtung der mobilen Bezahldienste WeChatPay und Alipay, damit die chinesischen Gäste bequem mit ihrem Smartphone im Hotel bezahlen können. Die Einrichtungskosten sind in der Tat überschaubar. Düsseldorf Tourismus war einer der First Mover in der Stadt und hat das chinesische mobile Payment in seinen Tourist-Infos implementiert. Dort können Chinesen problemlos mit ihren Smartphones Stadtführungen bezahlen und Souvenirs kaufen. Mittlerweile gibt es in Deutschland mehrere Agenturen, die sich genau darauf spezialisieren. Gerne helfe ich bei der Kontaktvermittlung weiter.
Welche Voraussetzungen muss der deutsche Markt – Hotels, Flughäfen und andere touristische Anbieter – schaffen, um den chinesischen Reisenden zu gewinnen und ihm die Reise so angenehm wie möglich zu machen?
Die Sprache ist das A und O und der Schlüssel zur Akquise von chinesischen Gästen. Der größte Moskauer Flughafen Scheremetjewo zum Beispiel verwendet bei Durchsagen, Schildern, Infotafeln etc. neben dem Russischen und Englischen das Chinesische und avancierte auch aus diesem Grund zu einem wichtigen Hub für chinesische Reisende auf ihrem Weg nach Europa. Deshalb können ein WeChat-Account bzw. ein chinesischer Webauftritt und im besten Falle chinesischsprachige Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter vor allem an der Hotelrezeption den Grundstein für den Erfolg legen. Die chinesischen digitalen Bezahlmöglichkeiten oder die Steuerung der Zimmereinrichtung über das Smartphone sind angenehme und nützliche Nebeneffekte, aber die Überwindung der Sprachbarriere ist bei alldem entscheidend.
Und letztendlich erwarten die chinesischen Touristen in Europa bzw. Deutschland genau das, was sie aus ihrer Heimat kennen. Deshalb sind ein Wasserkocher auf dem Zimmer – Chinesen trinken heißes Wasser – und Aufmerksamkeiten wie kostenlose Badutensilien oder ein Erfrischungsgetränk kleine, aber effektive Investitionen in das hochpotente Chinageschäft.
Welche Rolle spielt die Platform WeChat? Welche Funktionen können mit WeChat in einem Hotel abgedeckt werden und wie lassen sie sich steuern?
„No WeChat – no Business“, diese Aussage höre ich ständig von etablierten China-Experten, und ich konnte mich von ihrer Richtigkeit auf meinen Reisen persönlich überzeugen. Wenn man Chinesen als Gäste gewinnen will, kommt man an der „Super-App“ nicht vorbei. Tatsache ist, dass 1 Mrd. User die App täglich nutzen. Das bedeutet, dass jeder chinesische Internetnutzer die Anwendung auf seinem Smartphone installiert hat. Dazu kommen noch weitere Millionen von ausländischen Nutzern. Dabei handelt es sich überwiegend um die im Ausland lebenden Chinesen. Somit ist WeChat für Millionen Chinesen zum Zentrum ihrer gesamten Online-Aktivitäten geworden. Gleichzeitig ist der chinesische Gast technologisch sehr versiert und erledigt Alltägliches überwiegend online über sein mobiles Endgerät: vom Bestellen von Taxi und Zugtickets über die Vereinbarung von Arztterminen und Restaurantbuchungen, die Anforderung von Lebensmitteln und anderen Produkten wie Kleidung sowie Haushaltsartikeln bis hin zur Buchung von Reiseangeboten. Laut DZT buchen 71 % der Chinesen ihre Reisen über das Internet. Der Internetnutzungsgrad bei Deutschlandreisen lag bereits 2015 bei 87 %. Aus diesem Grund bietet Düsseldorf Tourismus (DT) seit Ende 2018 seinen lokalen Partnern an, sich über den eigenen DT-WeChat-Account zu vermarkten und somit in China auf sich aufmerksam zu machen. Darüber hinaus kooperieren wir im Rahmen der DZT-„Magic Cities“-Kampagne mit der größten chinesischen Online-Travel-Agency „Ctrip“, die selbstverständlich neben ihrer Website auch auf WeChat präsent ist, und vermarkten die Destination Düsseldorf und unsere lokalen Partner effektiv und zielgerichtet auf dieser größten Online-Plattform.
Der Schlüssel zum chinesischen Markt ist die Nutzung von chinesischen digitalen Angeboten und Strukturen.
Vielen Dank, Herr Belov für die interessanten Detaileinblicke. Das Interview führte Nicole Clasani-Briskot, VINN Marketing und digitale Kommunikation.
Kurzporträt Dimitri Belov
Stellv. Leiter Market Development, DÜSSELDORF TOURISMUS, GERMANY
Dimitri Belov ist stellv. Leiter Market Development mit exzellenter Erfahrung im Standortmarketing sowie Projektmanagement im internationalen Kontext. Er bekleidete verschiedene Positionen beim Wirtschaftsförderungsamt sowie beim Büro für Internationale Angelegenheiten der Landeshauptstadt Düsseldorf und war für eine lokale Marketingagentur tätig.
Seit Dezember 2016 ist er bei Düsseldorf Tourismus u.a. für das Sonderprojekt Health Tourism zuständig. Als Bereichsmanager ist er für die Quellmärkte Arabische Golfstaaten, Russland und China verantwortlich. Zu seinen Aufgabenbereichen zählen u.a.: Marktbeobachtung und -analyse, Initiierung und Umsetzung von Marketingkampagnen, Ausbau der Kooperationen sowie Organisation des Auftritts und Präsentation der Destination Düsseldorf.
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