Übernachten in der Digitalisierungslücke
Frank Gerhardt gab dem Magazin Technology Review im Rahmen der IFA-Sonderausgabe ein Interview zum Thema Digitalisierung von Hotelzimmern, die Lücke der Traveller’s Journey.
Technology Review erscheint monatlich im Heise Verlag und ist die deutsche Ausgabe des berühmten amerikanischen Magazins „MIT Magazin of Innovation“. Die IFA findet vom 01. – 06. September in Berlin statt und ist die global führende Messe für Consumer Electronics und Home Appliances.
Interview
Frank Gerhardt, Geschäftsführer der VINN GmbH, macht Hotels smart. Sein Unternehmen hat eine App entwickelt, mit der Reisende ihr Hotelzimmer steuern können.
Alle reden von Smart Homes. Von Smart Hotels hört man dagegen wenig. Was ist der Grund?
Ich glaube, dass die Zukunft dem smarten Hotel gehört. Aktuell hat die Branche aber tatsächlich Nachholbedarf. Häufig fehlt es den Hoteliers schlichtweg an der Zeit, sich mit diesem Thema zu befassen. Zudem liegen die Kernkompetenz der Hoteliers in der Zimmerbereitstellung und der Beherbergung, aber die Digitalisierung kommt ganz langsam auch dort an.
Warum nutzen die Hotelketten nicht einfach Produkte, die für Privatwohnungen angeboten werden?
Hotels und ihre Gäste haben andere Anforderungen als Menschen in ihrem privaten Zuhause. Das zeigt aktuell ein Fall aus Las Vegas. Hier hat ein großes Hotel in 4.700 Zimmereinheiten ein Sprachsteuerungstool installiert. Damit sollen die Gäste Zimmerfunktionen über die digitale Sprachsteuerung bedienen. Ich habe gehört, dass das Hotel bei diesem Angebot auf größere Schwierigkeit gestoßen ist. Warum? Weil die Geräte auf eine Nutzung im privaten Umfeld ausgelegt sind. Die besonderen Anforderungen an die Installation eines smarten Hotelzimmers sind nicht zu unterschätzen.
Hunderte Menschen täglich müssen sich intuitiv in neuer Umgebung mit fremder Technologie zurechtfinden. Vielfach gehen Hotels noch heute von den eigenen Bedürfnissen aus. So werden intelligente Steuerungen fürs Energiemanagement eingesetzt, die die Heizung in unbelegten Räumen runterregeln. Das und vieles andere ist sinnvoll – jedoch sollte das Hotel stets den Gast und seine Bedürfnisse vor Augen haben.
Zum Beispiel?
Zum Beispiel bei der Klimaanlage. Da gibt es Modelle von verschiedenen Herstellern mit unterschiedlicher Bedienung. Hand aufs Herz: Haben Sie nicht auch schon verzweifelt und letztlich erfolglos auf den Tasten herumgetippt, um den Ventilator auszustellen? Das ist bei einem smarten Hotel kein Thema mehr, wenn die Unternehmen miteinander kooperieren. Was meine ich damit? Heute existieren auf der einen Seite Anbieter von
z. B. TV- oder Telefonlösungen und auf der anderen Seite Anbieter von smarten Lösungen wie für mobiles Bezahlen, digitale Türöffnung, mobilem Check-in oder Check-out. Dadurch entstehen Insellösungen.
Und bei Ihren Produkten ist das anders?
Ja. Wir machen nicht alles selbst, sondern docken unsere Lösung an die von Drittherstellern an, etwa von Anbietern für Internetzugang, TV oder digitalen Türsystemen in Hotels. Dabei können die Funktionen sukzessive eingeführt werden. Das kommt Hotels entgegen, die eine Vielzahl von existierenden Systemen betreiben. Manche Hotelketten versuchen, ihre Häuser zu standardisieren, um das „Smarte Hotel“ einzuführen. Doch was passiert, wenn andere Hotels mit anderen Systemen übernommen werden, wie es in der Branche häufig vorkommt? Auch die Frage der Renovierungszyklen bzw. Investitionsentscheidungen muss berücksichtigt werden. Flexible Lösungen sind gefragt.
Welche Funktionen bietet das System in einem Hotel, das komplett ausgestattet ist?
Über die App haben Sie Internetzugang und können das Fernsehgerät, die Beleuchtung, die Klimaanlage und die Jalousien steuern. Smartphone-Inhalte, wie z. B. Videos oder eigene Musik-Playlisten lassen sich über das TV-Gerät im Hotelzimmer abspielen. Die App dient als Softphoneclient, ist also ein Teil des Telefonnetzwerks mit einer eigenen Zimmernebenstelle, als individueller Messenger-Nachrichtendienst, übermittelt dem Hotel spezielle Wünsche wie z.B. Allergiker-Bettwäsche oder stellt die bevorzugte Tageszeitung bereit. Zudem lassen sich Roomservicebestellungen und Housekeeping steuern. Sie fungiert als hotelinterne und externe Informationsquelle, bietet dem Gast einen mobilen Check-in und Check-out, mobiles Bezahlen, steuert das System der Zimmertür und liefert dem Hotel u. a. einen digitalen Meldeschein. Die App bietet alles, was per IP- Internetprotokoll auf mobilen Geräten möglich ist. Wir möchten dies verstärkt auch als Mehrwert für existierende Hotelapps anbieten und glauben, dass dadurch die Direktbuchungen gestärkt werden.
Wie genau funktioniert Ihr System, was muss der Gast tun?
Wir schließen die Lücke bei der Travellers Journey. Die beginnt mit der Buchung, heute meist online, und endet mit der Bewertung des Aufenthalts etwa auf Tripadvisor. Dazwischen – vom Betreten bis zum Verlassen des Hotels – gibt es eine Digitalisierungslücke, die wir schließen. Dazu hat der Gast vielleicht schon bei Buchung die App der Hotelkette oder VINNcockpit heruntergeladen. Bei Check-in lädt die App die Konfigurationsdatei des gebuchten Zimmers ohne Zutun des Gastes und stellt die individuellen Services bereit. Ein Beispiel: Wenn in dem Zimmer ein Fernsehgerät eines Anbieters einer bestimmten Marke steht, enthält die App die Steuerungsfunktionen genau dieses Modells. Handelt es sich um ein Gerät eines anderen Anbieters, wird die Konfigurationsdatei entsprechend angepasst. Gleiches gilt für das Türschloss oder die Klimaanlage.
Und wenn ich die App nicht installieren kann oder möchte?
Natürlich gibt es immer Schalter für die manuelle Bedienung. Einige Funktionen lassen sich aber auch über Landingpages der Hotels steuern, wenn der Gast sich mit dem Hotel-WLAN verbindet. Die Zukunft rückt aber näher und der Hotelgast der Zukunft möchte immer unabhängiger reisen. Wir möchten es ihm mit unserer personalisierten App ermöglichen.
Gibt es Hotels, die heute schon das volle Programm anbieten?
Aktuell haben zwei Hotels Verträge für einzelne Module unterschrieben und wir stehen mit einem neuen Haus in Stuttgart in den finalen Vertragsverhandlungen für eine Gesamtlösung. Hier wird der Gast in den smarten Räumen Telefonanlage, TV-Lösung, Beleuchtung, Klimatisierung, Vorhänge, digitale Türöffnung sowie mobiles Check-in und Check-out mit der App steuern können. Geplant ist, quasi alle Funktionen der App in diesem Hotel zu platzieren. Die Nachfrage und das Feedback sind sehr groß. Mit einem normalen Verhandlungs- und Verkaufszyklus von sechs bis zwölf Monaten liegen wir absolut im Plan.
Bernd Müller, Technology Review
Weitere Infos: www.myvinn.com
Lesen Sie hier das komplette Interview in der Technology Review.
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